Österreichs Bahnindustrie kann Jobmotor und Klimaretter zugleich sein – mit Potenzial zur Bahnfabrik Europas. (Foto: AdobeStock / altocumulus)
Österreichs Weg zur Klimaneutralität führt über die Schiene – das zeigt eine neue Studie der Arbeiterkammer (AK), die das gewaltige Potenzial der heimischen Bahnindustrie hervorhebt. Die aktuelle Analyse der AK Wien und AK Oberösterreich, erstellt vom Institute for Comprehensive Analysis of the Economy (ICAE) und dem Socio-Ecological Transformation Lab Linz an der Johannes Kepler Universität Linz (JKU), kommt zum Schluss: Österreich könnte zur Bahnfabrik Europas werden.
Der Verkehrssektor ist laut Studie das größte Hindernis auf dem Weg zur Erreichung der Klimaziele, da er rund ein Viertel der Treibhausgasemissionen verursacht. Eine klimafreundliche Wende in der Mobilität sei nur durch einen massiven Ausbau des öffentlichen Verkehrs möglich – und dieser wiederum sei ohne eine starke Bahnindustrie nicht realisierbar. Die in Österreich gut aufgestellte Bahnwirtschaft könne diese Rolle einnehmen, mit erheblicher Hebelwirkung auf Wertschöpfung und Beschäftigung.
Strategische Industriepolitik statt Stillstand
Inmitten der längsten Rezession der Nachkriegszeit eröffnet die Studie einen neuen industriepolitischen Horizont: Die Bahnindustrie in Österreich habe die Fähigkeit, qualitativ hochwertige Arbeitsplätze zu schaffen, die Mobilitätswende aktiv mitzugestalten und kriselnde Branchen wie die Autozulieferindustrie aufzufangen. „Österreich könnte die Bahnfabrik Europas werden, mit starken Impulsen für die regionale Wertschöpfung und für die Schaffung von Arbeitsplätzen“, heißt es in der Studie.
Laut Input-Output-Modell des Forschungsteams könnten Investitionen in das europäische Zielnetz 2040 bis zu 24,4 Milliarden Euro an zusätzlicher Wertschöpfung sowie rund 230.000 Jahresarbeitsplätze generieren. Öffentliche Ausgaben in diesen Sektor entfalten laut Analyse überdurchschnittliche ökonomische Effekte – für jeden Euro staatlicher Investition entstehen 1,20 Euro an volkswirtschaftlichem Nutzen.
Exportstark, innovationsgetrieben, europäisch relevant
Österreichs Bahnindustrie ist laut Daten des Verbands der Bahnindustrie bereits heute Weltspitze: Mit Exporten von Schienenfahrzeugen und Ausrüstungen im Wert von 1,8 Milliarden Euro pro Jahr liegt das Land weltweit auf Platz eins bei Pro-Kopf-Ausfuhren. Die Unternehmen sind führend bei Gleisbaumaschinen, elektromechanischen Antrieben und Sensortechnik. Auch in Sachen Patente und Investitionen in Forschung und Entwicklung zählt Österreich zur EU-Spitze.
Die Studie beleuchtet zudem die industrielle Tiefe der Bahnbranche: Von Schienen über Signaltechnik bis zu Lokomotiven – nahezu alles, was für ein modernes Schienennetz benötigt wird, kann in Österreich produziert werden. Bei einem Auftragsvolumen von einer Milliarde Euro im Schienenfahrzeugbau könnten bis zu 4.000 neue Industriearbeitsplätze entstehen.
Bahn als Jobmotor mit Zukunft
Auch auf dem Arbeitsmarkt ergibt sich ein klares Bild: Rund 42 Prozent der durch das Zielnetz 2040 ausgelösten Arbeitsplätze würden in der Bauwirtschaft entstehen. Doch auch zahlreiche andere Branchen würden laut der Studie durch Vorleistungs- und Zulieferketten profitieren. Gerade für Fachkräfte aus der schwächelnden Kfz-Zulieferindustrie stellt die Bahnwirtschaft eine zukunftssichere Perspektive dar.
Allerdings sei die Realisierung dieses Potenzials an klare politische Rahmenbedingungen geknüpft. Eine strategische Industriepolitik müsse ebenso greifen wie ein entschlossenes Vorgehen gegen Fachkräftemangel – unter anderem durch Ausbildungsoffensiven, gezielte Fördermaßnahmen für Frauen und ältere Arbeitnehmer:innen sowie die Priorisierung klimarelevanter Industrien in der Arbeitsvermittlung.
Europaweite Impulse, nationale Verantwortung
Die Studie fordert ein deutliches Bekenntnis zu einer nachfrageseitigen Industriepolitik auf EU-Ebene. Die öffentliche Beschaffung müsse soziale und ökologische Kriterien sowie europäischen „local content“ – also Wertschöpfung in Europa – zur Voraussetzung machen. Gleichzeitig dürfe es keine Kürzungen bei nationalen Ausbauplänen wie dem Zielnetz 2040 oder den Rahmenplänen der ÖBB geben.
Österreich lasse derzeit Milliardenpotenziale auf der Straße liegen, so die Kritik: Durch eine konsequente Anwendung der EU-Wegekostenrichtlinie könnten jährlich bis zu 800 Millionen Euro an Lkw-Maut-Mehreinnahmen erzielt und in die Schieneninfrastruktur investiert werden.
Bahnindustrie als Rückgrat der Mobilitätswende
Mit Blick auf die Eigentümerstruktur betonen die Studienautoren, dass viele der in Österreich tätigen Bahnindustrieunternehmen ihren Hauptsitz im Inland haben. Dies ermögliche größere Handlungsspielräume bei Standort- und Produktionsentscheidungen – anders als etwa in der stärker ausgelagerten Automobilindustrie.
Eine Herausforderung bleibe jedoch der zunehmende globale Wettbewerb, insbesondere aus China. Die Studie warnt: Nur wenn frühzeitig in Lieferketten, Produktionskapazitäten und Fachkräfte investiert wird, kann Österreich seine starke Position halten und ausbauen.
Weichenstellung für die Zukunft jetzt notwendig
Die Erkenntnisse der Studie sind klar: Die Bahnindustrie kann zur wirtschaftlichen und ökologischen Lokomotive Österreichs werden. Die notwendigen Voraussetzungen sind vorhanden – doch es braucht politischen Willen und eine klare Strategie, um dieses Potenzial auch zu heben. Die Forderungen der Arbeiterkammer und der Gewerkschaft PRO-GE reichen von einer nachfrageorientierten Industriepolitik über gezielte Förderprogramme bis hin zu einem europaweiten Investitionsschub.