„Versuche es zuerst im Kleinen, dann bleiben auch die Fehler klein“

27.02.2019 | Uncategorized

Birgit Hendriks, Expertin für Citylogistik-Konzepte, berichtet im Interview mit Verkehr über die Entwicklung einer grünen Last-Mile-Lösung in den Niederlanden.

Birgit Hendriks ist Expertin bei eco2city, einer NGO zum Aufbau effizienter Citylogistik-Netzwerke, die sich das Ziel von Zero Emission in der Städtelogistik auf ihre Fahnen geschrieben haben. Heute unterstützt Hendriks die Gründung ähnlicher lokaler Smart-City-Freighthubs (sogenannte Goederenhubs), die "Binnenstadservices" anbieten, und hilft dabei, sie untereinander zu vernetzen, um den notwendigen Umschwung in der Citylogistik zu fördern. Verkehr wollte wissen, was sich in diesem spannenden Feld aktuell tut und was Europa von den Niederlanden lernen kann.

Verkehr: Was bietet der Binnenstadservice konkret an?
Birgit Hendricks:
"Binnenstad" wird die Innenstadt in den Niederlanden genannt, wo schon lange enorme Probleme im Bereich der Citylogistik wie Lärm, Stau etc. den Menschen und den Verkehrsteilnehmern das Leben schwer machen. In Nijmegen wollten wir diese Probleme, die unmittelbar mit der früheren Verteil- und Zustellpraxis zusammenhingen, einfach lösen, indem wir die Güter bündelten und in einer größeren gemeinsamen Lieferung zusammenfassten. Zusammen mit der Stadtregierung wurde dadurch das Angebot eines Hubs geboren, der die Sendungen annimmt sowie flexibel lagern und versenden kann: der Goederenhub. Unser Service orientierte sich dabei eng an den jeweiligen Unternehmen, die unsere Dienste in Anspruch nehmen wollten. Heute haben manche unserer Kunden nur noch einen Ausstellungsraum, besonders Einrichtungshäuser, die bei uns ein bestimmtes Lagervolumen dauerhaft angemietet haben und die Abwicklung direkt über unseren Hub tätigen. Das heißt, die Ware kommt niemals in den eigentlichen Shop. Diese flexible Lagerung stellt den größten Anreiz für Geschäftsleute dar. Der Hub ist rund 400 m² groß und die bei weitem größte angemietete Fläche hat etwa 50 m². Crossdocking spielt bei uns eher eine untergeordnete Rolle, doch um bedarfsgerecht wachsen zu können, teilen wir uns weitere rund 1.000 m2 mit einem Partner. Die Kosten, die wir weiterverrechnen, richten sich sehr stark nach den individuellen Bedürfnissen unserer Kunden: Der Basistarif errechnet sich jedoch grundsätzlich aus den Stopps pro Lieferung und Abholung der Güter. Im Grunde muss aber jede Stadt ganz individuell und entsprechend ihrer spezifischen Kosten kalkulieren, da diese je nach Bedingungen ziemlich stark variieren können.

Welche Hürden mussten am Anfang überwunden werden?
Hendricks:
Die größte Hürde im Zuge der Entwicklung der Goederenhubs war sicherlich die Praxis, dass die meisten Sendungen frei an die Endadresse geliefert werden sollten. Das führte natürlich insofern zu großen Problemen, da unser Hub dann die Zustelladresse war und die Frage aufkam, wer für den restlichen Weg zum Endabnehmer die Kosten tragen sollte, denn unsere Kunden bekamen dafür keinen Nachlass auf die Zustellkosten seitens der Lieferanten. Deshalb haben wir nach und nach begonnen, unsere Verträge direkt mit den Zulieferern zu vereinbaren, die schließlich auch den größten Vorteil aus dieser neuen Zustellung zogen. Doch die Endabnehmer profitierten ebenso, daher sollten eigentlich idealerweise zwei Rechnungen gestellt werden.

Was ist der Unterschied zwischen Goederenhubs und dem Binnenstadservice?
Hendricks:
Nun, Binnenstadservices existieren beispielsweise in Nijmegen, Amsterdam oder Groningen und mehreren anderen Städten in den Niederlanden; andere lokale Hubs haben ihre eigenen Bezeichnungen. Goederenhubs bezeichnet eher eine Art von gemeinsamem Schirm, unter dem alle lokalen Hubs arbeiten, und ist eine nationale Marke, die auch Verträge abschließt. Hier werden auch IT-Services für die einzelnen Initiativen bereitgestellt, sodass es heute sehr einfach ist, einen neuen Hub aufzuziehen.

Könnte das Prinzip der Goederenhubs auch für große Metropolen in Europa eine adäquate Lösung der Last-Mile-Problematik darstellen?
Hendricks:
Nun, natürlich kann man dieses Konzept auch in anderen großen Städten anwenden. In Rotterdam zum Beispiel wird lediglich die Innenstadt auf diese Weise beliefert. Aber: Je größer die Stadt, desto länger ist freilich auch der Weg in die Peripherie. Also empfehlen wir, immer zuerst einmal klein zu starten und nicht gleich das gesamte Stadtgebiet abzudecken. Das Motto lautet: "Versuche es zuallererst im Kleinen, dann bleiben auch die Fehler klein." Wir arbeiten heute mit Partnern zusammen, die die Waren liefern, und wissen durch unsere jahrelange Erfahrung sehr genau, welche Verträge wir tatsächlich brauchen und wie diese konkret aussehen müssen, damit sich das Angebot selbst trägt. Viele Initiativen starten als EU-Pilotprojekte zu reinen Forschungszwecken, und sobald der Geldfluss zu seinem Ende kommt, stirbt das gesamte Projekt gleich wieder, weil es unwirtschaftlich war. Aber so etwas löst natürlich keine realen Probleme der Metropolen, dazu muss es effizient und selbst wirtschaftlich tragfähig sein. Deshalb empfehlen wir, vom ersten Tag an Rechnungen zu legen und das Unternehmen von Beginn an auf ordentliche wirtschaftliche Beine zu stellen, damit es nach dem Wegfall etwaiger Förderungen tatsächlich rentabel wirtschaften kann. Auf europäischer Ebene brauchen wir jetzt genau das Gleiche, denn der Großteil der Lieferungen bleibt innerhalb Europas. Ich wünsche mir, dass unser Konzept auch in anderen Städten angenommen wird, weil es hervorragend dazu geeignet ist, einen Teil der urbanen Transportprobleme zu entschärfen und als europaweite Sendungsoption noch um einiges schlagkräftiger wäre.

Vielen Dank für das Gespräch!


Dieses Interview wurde ursprünglich in der Ausgabe VK 9/2019 veröffentlicht.

Tags:

Anzeigen
Anzeigen

Newsletter

Events

Auf Linkedin folgen