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Gruppenfreistellungsverordnung: Bleibt oder geht sie?

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„Leider hat sich Österreichs Logistikbranche nicht mit einer Stellungnahme am Konsultations- prozess beteiligt“, so Markus Schöner, Partner der Wirtschaftskanzlei CMS.
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Die Gruppenfreistellungsverordnung (GVO) wird hierzulande weitgehend abgelehnt. Verkehr sprach mit Rechtsanwalt Markus Schöner, Partner bei der internationalen Wirtschaftskanzlei CMS in Berlin, über den aktuellen Status der GVO.

von: Josef Müller

Die GVO für Containerreeder-Konsortien gilt noch bis April 2024. Was passiert, wenn sie erneut von der EU-Kommission verlängert wird?
Markus Schöner:Business as usual. Eine Verlängerung der Verordnung würde den Containerreedern den „sicheren Hafen“ der GVO erhalten. Sie könnten ihre bisherige Zusammenarbeit in Konsortien unverändert fortsetzen. Es gebe keinen besonderen Anlass, diese kritisch zu hinterfragen. Auch die nationalen Kartellbehörden würden sich voraussichtlich weiter zurückhalten.

Welche Auswirkungen hätte das auf die Logistikbranche?
Schöner:Die Allianzen der Containerreeder würden vermutlich weiter bestehen bleiben, sofern ihre Auflösung nicht schon wie im Fall der 2M-Allianz von MSC und Maersk beschlossene Sache ist. Bekanntlich soll diese Kooperation zwischen den beiden weltweit größten Containerreedereien zum Januar 2025 enden.

Welche Vorteile ergeben sich aus der Verordnung für die Containerreedereien, wenn sie verlängert würde?
Schöner:Die Konsortial-GVO ist für die Containerreedereien ein wichtiger Maßstab zur kartellrechtlichen Bewertung ihrer Allianzen und Konsortien. Sie regelt, was bis zu einer Marktanteilsgrenze von 30 Prozent durch die GVO freigestellt und was verboten ist. Auch bei einem Überschreiten der Marktanteilsgrenze bleibt die GVO relevant, denn sie benennt bestimmte freistellbare Kooperationsformen zur operationellen Zusammenarbeit wie die gemeinsame Nutzung von Schiffsraum durch sogenannte Vessel-Sharing-Agreements und die Abstimmung von Fahrplänen. Eine operationelle Zusammenarbeit kann maßgebliche Effizienzen zu Gunsten der Verbraucher generieren. Sie kann daher auch bei Überschreiten der Marktanteilsgrenze der Konsortial-GVO einzelfreistellungsfähig sein.

Würde das Ende der GVO bedeuten, dass über Nacht alle Allianzen und Konsortien ­ungültig wären?
Schöner:Das sicher nicht. Nach allgemeinen kartellrechtlichen Grundsätzen bleibt maßgeblich, ob durch die Zusammenarbeit ­Effizienzvorteile zu Gunsten der Verbraucher entstehen, die ­etwaige Wettbewerbsbeschränkungen aufwiegen. Dann greift automatisch eine vom Gesetz vorgesehene Einzelfreistellung vom Kartellverbot. Im Wesentlichen geht es bei dem dafür notwendigen Effizienzvorteil um ein besseres Angebot, zum Beispiel einen besseren Fahrplan und um Kostenreduzierungen durch die gemeinsame Nutzung von Schiffsraum, die zu niedrigeren Frachtkosten für die Verbraucher führen. Den Nachweis darüber können die Container­linien auch ohne Rückgriff auf die Konsortial-GVO im Wege einer Selbsteinschätzung erbringen. Im Streitfall müssten sie allerdings die Voraussetzungen der Einzelfreistellung belegen. Sie müssten zeigen, dass ihre Zusammenarbeit zu Effizienzvorteilen führt, also zu einer Verbesserung des Angebots oder zu einer Reduzierung der Kosten. Die Kooperation müsste für diese Effizienzvorteile notwendig sein und die Verbraucher müssten davon angemessen profitieren. Die Vorteile müssten die Nachteile überwiegen. Schließlich dürften die Kooperationen nicht zu einem Ausschluss des Wettbewerbs führen. Diesen Nachweis können die Containerlinien nach wie vor im jeweiligen Einzelfall erbringen.

Wer zieht derzeit Vorteile aus der GVO und wer Nachteile?
Schöner:Die Kommission ist bisher davon ausgegangen, dass durch die Konsortien sowohl die Containerreeder als auch ihre Kunden im erheblichen Umfang von einer Verbesserung des Angebots und einer Reduktion der Kosten profitieren. Ob das auch wirklich zutrifft, wird zunehmend kontrovers diskutiert. Die Kommission wird die Freistellung nur dann verlängern, wenn sie hinreichend davon überzeugt ist, dass die Vorteile zu Gunsten der Verbraucher nach wie vor etwaige Wettbewerbsbeschränkungen überwiegen. Letztere werden dabei allerdings in Kauf genommen. Beispielsweise kann die Abstimmung wöchentlicher Abfahrten der verschiedenen Schiffe der Allianzpartner die Regelmäßigkeit des Angebots verbessern. Zugleich führt diese Abstimmung dazu, dass es kein Angebot ­außerhalb des abgestimmten Fahrplans gibt, was für Nachfrager nachteilig sein kann.
Problematisch ist darüber hinaus auch ein schon vom Bundeskartellamt aufgegriffener Punkt: Die Allianzen der Containerreeder sind auf zahlreichen geografischen Märkten tätig. Das kann zu kumulativen Effekten führen, die über die Zusammenarbeit in Einzelmärkten hinausgehen, zum Beispiel hinsichtlich des gemeinsamen Einkaufs von Hafendienstleistungen oder mit Blick auf den Informationsaustausch. Es erscheint unsicher, ob sich Allianzpartner, die auf verschiedenen Märkten miteinander kooperieren, auf anderen Märkten im scharfen Wettbewerb gegenüberstehen. Das Bundeskartellamt meint, dass die bisherige Vermutung in der Gruppenfreistellungsverordnung, dass bis zu einem Marktanteil von 30 Prozent auf einzelnen Märkten die Effizienzgewinne die Wettbewerbsbeschränkung überwiegen würden, nicht mehr gilt. Sie berücksichtige nicht die marktübergreifenden Wettbewerbsbeschränkungen, die von der Zusammenarbeit der Containerreeder ausgehen würden. Die damit verbundenen Nachteile könnten alle Unternehmen treffen, die als Anbieter oder Nachfrager gegenüber Container­reedereien tätig sind.
Allerdings hat auch das Bundeskartellamt in seiner Stellungnahme gegenüber der Kommission keine konkreten Nachteile identifiziert, sondern sich lediglich auf den Standpunkt zurückgezogen, es sei nicht klar, dass die Vorteile eventuelle Nachteile überwiegen.

Was bedeutet die GVO für den Wettbewerb in der maritimen Containerschifffahrt?
Schöner:Sie kann positive Effekte auf den Wettbewerb haben, zum Beispiel kleinen Containerreedern die Teilnahme am Markt ermöglichen oder es ihnen möglich machen, ihr Angebot zu verbessern. Sie kann aber auch ein zu hohes Maß an Kooperation begünstigen, dass den Wettbewerb zu Lasten der Unternehmen auf den vor- und nachgelagerten Märkten einschränkt.

Österreichs Logistikbranche kritisiert die Verordnung sehr stark und sieht darin wettbewerbsseitige Nachteile für die Speditionswirtschaft. Ist diese Kritik angebracht?
Schöner:Leider hat sich Österreichs Logistikbranche nicht mit einer eigenen Stellungnahme am Konsultationsprozess beteiligt. Die Kommission hat bis zum Oktober 2022 51 Stellungnahmen erhalten, davon zahlreiche aus Deutschland und Belgien. Tatsächlich haben sich die Containerreeder in den letzten Jahren zunehmend zu Allianzen zusammengeschlossen, auch wenn es mit der Beendigung der Zusammenarbeit von Maersk und MSC im Jänner 2025 bereits erste Auflösungs­erscheinungen gibt. Die GVO für Containerreeder ist aber eine Besonderheit, die einer speziellen Rechtfertigung bedarf. Für keine andere Branche hat die Kommission eine vergleichbare Freistellungsverordnung erlassen. Erschwerend kommt hinzu, dass es in der Vergangenheit teilweise erstaunlich hohe Preise und entsprechend hohe Gewinne auf Seiten der Containerreedereien gab. Auch die Servicequalität war nicht stets über jeden Zweifel erhaben. Da darf man die großzügige Freistellung der Zusammenarbeit durch die Kommission ruhig kritisieren. Ob diese Kritik letztlich durchschlägt und die Aufhebung der GVO rechtfertigt, bleibt dabei eine schwierig zu beurteilende Frage. Dem Vernehmen nach verwendet die Kommission erhebliche Ressourcen darauf, diese Frage zu beantworten. Die betroffenen Unternehmen müssen darauf hoffen, dass die Kommission zu einer ausgewogenen und nachvollziehbaren Entscheidung gelangt.

Wie ist in Deutschland aus wettbewerbsrechtlicher Sicht die Haltung zur GVO?
Schöner:In Deutschland ist die Position nicht viel anders als in Österreich. Mit der Übernahme von Hamburg Süd durch Maersk im Jahr 2017 sowie der Übernahme von DAL durch Hapag-Lloyd in 2022 gibt es in Deutschland nur noch eine einzige Containerreederei. Die Nachfrager sind zahlenmäßig in der Überlegenheit und wissen, sich Gehör zu verschaffen. Es verwundert daher nicht, dass das Bundeskartellamt die Kooperation der – in aller Regel ausländischen – Containerreedereien zunehmend kritisch betrachtet.

Vielen Dank für das Gespräch.


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Der Podcast der Internationalen Wochenzeitung Verkehr in Kooperation mit Julia Schütze.

Hören Sie hier das Interview mit Andreas Matthä, CEO der ÖBB Holding.

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