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Die „Neue Seidenstraße“

Foto: FH des BFI Wien
Für Andreas Breinbauer, Leiter des Studiengangs „Logistik und Transportmanagement“ an der FH des BFI Wien, bietet das SeidenstraßenProjekt viele Chancen für Österreichs Wirtschaft
Foto: FH des BFI Wien

Ein Konjunkturprogramm für zwei Drittel der Weltbevölkerung?

von: Andreas Breinbauer

Als im September 2013 der chinesische Staats- und Parteichef Xi Jinping das Konzept der neuen Seidenstraße „One belt, one road“ (Obor) vorgestellt hatte, war die weltweite Aufmerksamkeit groß: 65 Länder und etwa 4,4 Mrd. Menschen sollen von diesem Projekt profitieren. „Obor“ hat wie bei der antiken Seidenstraße zwei Komponenten: land- und meerseitig.

Der Landweg ...
Die Verbindung von China nach Europa auf dem Landweg (Neue Seidenstraße im engeren Sinne, „silk road economic belt“) führt von der alten Kaiserstadt und dem Ausgangsort der alten Seidenstraße, Xi’an in China, über die Region Xinjiang nach Zentralasien bis in die Türkei; über Osteuropa gibt es eine Verlängerung via Deutschland, Rotterdam und weiter nach ­Süden bis Venedig. Dies ist aber nur eine Variante, die zur Diskussion steht. Weitere Streckenführungen sind geplant, wie z. B. eine Eisenbahnstrecke von der Provinz Yunnan im Süden Chinas über Indien, Pakistan, den Iran und die Türkei bis hin nach Hamburg. Zumindest der Teil Ankara bis Istanbul ist ­bereits umgesetzt. Diese Hochgeschwindigkeitsstrecke wurde von einem chinesischen Unternehmen errichtet und ist das erste derartige Projekt außerhalb von China.

... und der Seeweg

Die maritime Verbindung („maritime silk road“) reicht von Südchina über die Straße von Ma­lakka, vorbei an indischen Häfen über den indischen Ozean, Ostafrika, durch den Suezkanal bis nach Venedig. Häfen spielen dabei eine zentrale Rolle, insbesondere der Knoten Piräus als Endpunkt der maritimen Seidenstraße in Europa. Der Ausdruck „Straße“ ist jedoch irreführend und euphemistisch, da es sich vielmehr um den Ausbau eines globalen Netzwerks aus Straßen, Pipelines, Stromtrassen, Eisenbahnverbindungen, Tiefseehäfen und generell Investitionsmöglichkeiten handelt, die in ihrer Dimension und Konkretheit noch nicht endgültig definiert sind. Nach chinesischen Angaben sollen 65 Länder und etwa 4,4 Mrd. Menschen daran partizipieren. Experten gehen von einem Investitionsvolumen von bis zu 8 Bill. US-Dollar aus. Das Magazin „Der Spiegel“ spricht daher von diesem ­gigantischen Konjunkturprogramm als „Projekt Welteroberung“.

China investiert in Europa
Finanziert werden sollen diese Vorhaben von der Asian Infrastructure Investment Bank (AIIB). Die Gründung der AIIB wurde insbesondere von den USA als Gegengewicht zur westlich dominierten Weltbank entsprechend kritisch gesehen. Trotz Warnungen aus den USA haben aber 57 Staaten, darunter fast alle asiatischen (außer Japan) und die wichtigsten europäische Staaten, im Juni 2015 die Gründungsurkunde unterzeichnet. China hält mit 27% den größten Anteil vor Indien, Russland und Deutschland als wichtigstes europäisches Land, das mit knapp 4% beteiligt ist. Auch ohne AIIB-Mitgliedschaft sehen sich die ost- und südosteuropäischen Länder als Nutznießer der Investitionsvorhaben.

So wurden in den letzten beiden Jahren zahlreiche infrastrukturelle Groß­projekte diskutiert und teilweise paktiert, so z. B. eine Zugverbindung Budapest–Belgrad, eine 25 km lange Autobahnstrecke westlich von Belgrad, die Erweiterung des Hafens von Koper sowie der Hafenneubau an der Donau in Belgrad. Polen, bereits jetzt stärkster Handelspartner Chinas in Zentral- und Osteuropa, möchte sich überhaupt als Chinas Tor zu Europa und konkret als Logistikhub der neuen Seidenstraße positionieren.

Chinas Engagement in Griechenland
Besonders konkret und sichtbar sind die Investitionen staatlicher Firmen Chinas im wirtschaftlich angeschlagenen Griechenland. Federführend aktiv sind die China Railway Rolling Stock Corporation (CRRC) und vor allem die staatliche China COSCO Shipping Cooperation (seit Feber 2016 aus der Fusion von COSCO und CSG hervorgegangen und heute die viertgrößte Reederei weltweit), deren Engagement in Griechenland schon lange Tradition hat. Tatsächlich entwickelte sich Piräus unter dem Engagement von COSCO zum weltweit am schnellsten expandierenden Containerhafen.

Übernächstes Jahr soll der Umschlag von 6,2 Mio. TEU erreicht werden. Damit ist Piräus der größte Containerumschlagplatz im Mittelmeer und zentrale Drehscheibe für den Containerverkehr zwischen Asien und Europa. Das von Beginn an umstrittene ­Engagement der Chinesen in ­Piräus wird heute mehrheitlich als Erfolg gesehen und könnte als Blaupause für andere Infrastrukturinvestitionen dienen. Eine wichtige Rolle in der Planung spielen die Bahnverbindungen, die von Piräus über den Balkan nach Mittel- und Osteuropa verlaufen. Daher bemüht sich COSCO um das geplante Logistikzentrum Thriassio im Westen Athens, dessen Herzstück ein großer Containerbahnhof ist. Die CRRC baut weitere neue Bahnstrecken in Osteuropa.

Welche Motive stecken dahinter?

Was sind nun die Motive hinter diesen Megavorhaben? Neben den wirtschaftlichen Gründen spielen innen-, außen- sowie geopolitische und, wie manche auch behaupten, sicherheitspolitische Aspekte eine Rolle. Ein wichtiger Antrieb für das Seidenstraßen-Projekt ist das Schwächeln der chinesischen Wirtschaft. Chinas große Industrie- und Infrastruktur-Branchen, wie z. B. Bau, Stahl, ­Zement, Verkehr bzw. Transport, leiden an Überkapazitäten, daher sind zusätzliche Aufträge mehr als erwünscht. Da bei allen geplanten und laufenden Projekten Chinas Firmen immer beteiligt sein sollen, könnten damit die entsprechenden Branchen gut stimuliert werden. Außerdem stiegen die Produktionskosten (Lohnkosten) an der boomenden ­Pazifikküste rasch, so dass eine Verlagerung der Standorte in das Landesinnere opportun ist.

Damit könnte China die Entwicklung des ländlichen Raumes und der Regionen Zentral-, West- und Nordostchina befördern, landesweite Disparitäten verringern und außerdem mögliche politische Konflikte durch einen wirtschaftlichen Aufschwung in diesen Regionen abfedern. Durch die „Go West“-Strategie werden die Vorläufe zu den Seehäfen an der Ostküste (z. B. von Chingquing drei Tage) deutlich verlängert, womit ein Transportanschluss über die eurasische Landbrücke nach Europa eine sinnvollere Alternative sein könnte. Bahntransporte über die europäische Landbrücke dauern von Peking nach Berlin im optimalen Fall 15 Tage und halbieren den Seeweg bei ca. doppelten Kosten. Damit bietet der Bahnweg ein akzeptables Preis-Leistungs-Verhältnis in Bezug auf die Geschwindigkeit, die für verschiedene Produkte z. B. der Elektronikbranche mit kurzen Produkt­lebenszyklen immer wichtiger wird.

Die Rolle Österreichs
Da weiterhin viele chinesische Unternehmen im Eigentum des Staates sind oder zumindest ­direkt aus ehemaligen Staats­unternehmen stammen, ist die chinesische Außenwirtschaft  sehr eng an die politische Führung gebunden. Eine europäisch-chinesische Arbeitsgruppe soll eine gesamteuropäische Antwort auf die Seidenstraße liefern. Unter dem sperrigen Namen „Konnektivitätsplattform EU-China“ will die  EU-Kommission Bereiche für die Zusammenarbeit mit Peking entwickeln. Österreich und im Speziellen Wien versuchen sich am europäischen Ende der Seidenstraße als Hub zu positionieren, der Beitritt zur AIIB war ein wichtiger Schritt dazu.

Zwei Aspekte werden diskutiert: Einerseits könnte Österreich als Umschlagknoten für Waren aus Piräus nach Zentraleuropa fungieren (Kooperationen der ÖBB mit COSCO gibt es bereits) bzw. andererseits als Endstandort kontinentaler Landbrückenverbindungen dienen, worunter auch die Breitspurverlängerung in den Osten Österreichs fällt. Außerdem könnte vor allem Wien seine Attraktivität als dominanter Standort für regionale Headquarters für CEE auch auf asiatische und chinesische Unternehmen ausdehnen. An der FH des BFI Wien wird dazu (finanziert von der MA 23) eine Studie zum „Nachhaltigen Headquarter-standort Wien“ durchgeführt. ­Interviews in China haben ergeben, dass Wien/Österreich als Kulturzen­trum sehr geschätzt wird, aber als Wirtschaftsstandort weitgehend unbekannt ist.

Das Interesse chinesischer ­Unternehmen ist der Zugang zu Know-how, Innovationsfähigkeit, Erweiterung der Produktpalette und generell eine Ausdehnung des Absatzmarktes. Die interviewten Chinesen ­waren begeistert und auch ­etwas verwundert, dass es in Europa im Vergleich zu den USA und Kanada viel weniger Restriktionen für Investitionen gibt. Die Investitions­tätigkeit chinesischer Unternehmen in Österreich hat jedenfalls noch Luft nach oben: Der Bestand an aktiven Direktinvestitionen aus China lag nach ÖNB-Angaben im Jahr 2015 bei lediglich bei 2,6 Mrd. Euro, das ist ungefähr das Niveau des Engagements Norwegens. Das Potenzial für österreichische Unternehmen und den Standort Österreich/Wien ist also vorhanden, in welchem Umfang sich dieses unter dem Label „Neue Seidenstraße“ realisieren lässt, wird sich zeigen.


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