Fotorecht: Jürgen Beilein
Verkehr: Wie nehmen Sie generell die Auswirkungen der Corona-Pandemie auf die Transport- und Logistikbranche war?
Gerald Gregori: Für die meisten Unternehmen in der Branche ist es katastrophal, sowohl operativ als auch umsatzseitig. Zu beobachten ist, dass klar hierarchisch organisierte Unternehmen, wie z.B. jene, die aus dem staatsnahen Bereich kommen, in der Krise besser funktionieren
Inwieweit werden sich die nationalen und internationalen Lieferketten in der Nach-Corona-Zeit ändern?Gregori: Bei nationalen Lieferketten wird sich durch die Krise nicht so viel ändern, auch wenn ich eine stärkere Fokussierung auf lokale Beschaffungsquellen erwarte. Die Maßnahmen zur Klimaschonung werden sich hier stärker auswirken: Dort wo es grundsätzlich möglich ist, wurde schon vor der Corona-Krise über einen Shift zu Bahntransporten und andere Maßnahmen zur nachhaltigeren Gestaltung der Logistik nachgedacht.
International erwarte ich starke Auswirkungen: Der Peak der Globalisierung ist eindeutig überschritten, die Fertigung kritischer Produkte wird aus China und Indien zurückgeholt werden. Das wird auch andere Unternehmen motivieren, wieder mehr lokal zu produzieren.
Wer werden die Gewinner, wer die Verlierer dann sein?
Gregori: Firmen, die stark genug sind, die Krise zu überstehen und jetzt proaktiv auf die Krise reagieren, werden profitieren. Wer seine Kunden bei deren Problemen jetzt aktiv unterstützt, flexibel und kreativ auf neue Nachfragemuster reagiert, kann nicht nur sein Kerngeschäft bewahren, sondern auch neue Kundensegmente erschließen. Wer hingegen die nächsten Wochen nur dank der Hilfsprogramme übersteht und keine Alternativen entwickelt – oder entwickeln kann, weil ein Großteil der Kundenbasis wegbricht – wird wohl spätestens nach Auslaufen der Unterstützungen in grobe Probleme geraten.
Mit der Aktion „Intercontinental kocht“ werden täglich Corona Risikogruppen kostenlose mit Mahlzeiten versorgt. Welche Rolle nehmen Sie dabei ein, bzw. wie kamen Sie dazu?
Gregori: Am Tag vor Start der Aktion wurde ich von der Caritas angefragt, ob ich als Logistiker die Organisation der Auslieferung übernehmen kann. Innerhalb von einem Tag musste die Zustellung von ca. 200 Mahlzeiten in Wien organisiert, also Freiwillige gefunden und die Touren effizient geplant werden.
Neben dem Hauptsponser, Michael Tojner, gibt es auch weitere Unterstützer: GB Consite aus München war sofort bereit, ihr Paket „MultiRoute“ gratis für die Tourenplanung zur Verfügung zu stellen und hat mir am Vorabend des Starts geholfen, das System ins Laufen zu bringen. Für die Ausstattung der Zusteller hat uns Mjam mit 25 Rucksäcken ausgeholfen. Die Organisation der Freiwilligen machen der Malteser Hospitaldienst und die Tochter des Hauptsponsors, Anais Felsbach-Tojner. Medial unterstützt hat die Aktion von Anfang an die Kronen Zeitung, mittlerweile gibt es schon breites Medienecho: Die Presse, Servus-TV, der ORF und sogar die deutsche Bild Zeitung berichten über die Aktion.
Die Umsetzung funktioniert ausgesprochen gut: Wir haben heute Sonntag und Tag 5 der Aktion insgesamt 13 Fahrräder, 7 PKW und – ein Highlight der Aktion – 3 Fiaker in Wien unterwegs und bekommen sehr viel positives Echo.
Wer finanziert diese Initiative und wie viele Mahlzeiten werden täglich im dritten Bezirk verteilt?
Gregori: Michael Tojner, Eigentümer des Hotel Intercontinental in Wien, stellt sein Hotel samt Personal zur Verfügung und finanziert den Einkauf, damit täglich über 200 Portionen mit Vor- und Hauptspeise zubereitet und von dort ausgeliefert werden können.
Mit welchen Auswirkungen rechnen Sie in der Nach-Corona-Zeit auf unsere Wirtschaft bzw, Gesellschaft?Gregori: Je nach Dauer des Lockdowns wird es wohl einige Monate dauern, bis wieder einigermaßen der Normalzustand hergestellt wird. Wobei sich die Frage stellt, was das neue „Normal“ bedeuten wird.
Für die Logistik wird es auf jeden Fall viel zu tun geben: Das Zurückfahren der Globalisierung durch den Aufbau regionalerer Produktionsstrukturen wird die Transportketten massiv verändern, die Abkehr von haarscharf kalkulierten Just-in-time-Lieferketten, die sich als nicht resilient erwiesen haben, wird die Lagermengen nach oben treiben und das veränderte Konsumverhalten wird wohl noch viel mehr verändern.
Gesellschaftlich glaube ich – oder besser hoffe ich – dass der Satz „immer weniger von immer Besserem“, der Helmut Gansterer zugeschrieben wird, an Bedeutung gewinnt. Die existenziellen Erfahrungen dieser Wochen könnten dazu führen, dass Konsum an Bedeutung verliert und immaterielle Werte wie reale soziale Kontakte oder Bewegung in der Natur viel wichtiger werden.
Welche ersten Lehren ziehen Sie persönlich aus der derzeitigen Corona-Krise?
Gregori: Der Satz „homo hominem lupus est“, also, dass der Mensch ist des Menschen Wolf ist, stimmt zum Glück nicht, die Krise bringt eher das Gute in uns heraus, zumindest solange unsere existenziellen Bedürfnisse befriedigt werden können. Persönlich erfahre ich, wie wichtig soziale Beziehungen sind, eine gute Partnerschaft, familiäre Strukturen, auch wenn sie großteils nur virtuell gelebt werden können. Es zeigt sich auch, wie essentiell funktionierende staatliche Strukturen und eine handlungsfähige Regierung sind. Da wird zurzeit vieles richtig gemacht und – meistens – klar kommuniziert. Und es wird für uns alle sichtbar, dass Menschen in Billigjobs wie Pflege, im Handel und vielen anderen Bereichen, existenziell für unsere Gesellschaft sind, aber in Relation viel zu wenig vom Kuchen bekommen.