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EMI: Abschwung der Industrie hat sich im Juli verschärft

Foto: Jonathan / pixabay.com
Dem Verarbeitenden Gewerbe der größten Volkswirtschaft Europas bekommt der Mix aus galoppierender Inflation, hohen Energiepreisen und sich verschärfenden geopolitischen Spannungen überhaupt nicht. Laut EMI-Umfrageteilnehmern zögerten zudem zahlreiche Kunden mit der Vergabe von Neuaufträgen. Stattdessen reduzierten sie erst einmal ihre Lagerbestände.
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Zu Beginn des dritten Quartals ist die Geschäftstätigkeit in der deutschen Industrie weiter zurückgegangen. Produktion, Neuaufträge und Erzeugerpreise schrumpften im Juli 2023 allesamt mit beschleunigten Raten, teilt der US-amerikanische Finanzdienstleister S&P Global mit. Der HCOB Einkaufsmanagerindex Deutschland (EMI) sackte auf den tiefsten Stand seit Mai 2020 ab.

Der EMI rutschte im Juli noch tiefer unter die Schwelle von 50 Punkten, die Wachstum von Schrumpfung trennt, und erreichte nurmehr 38,8 Punkte nach 40,6 im Vormonat. Ausschlaggebend für den Abschwung sind vor allem die weiter rückläufigen Neuaufträge. Vielerorts würden Kunden eher abwarten und zuerst ihre Lagerbestände reduzieren, so einige EMI-Umfrageteilnehmer. Auch die wirtschaftlichen und geopolitischen Spannungen und die daraus resultierenden Unsicherheiten sowie die ungünstigeren Kreditkonditionen bremsten die Auftragseingänge.

Deutsche Konjunktur unter Druck – Belastung für Eurozone
„Die deutsche Wirtschaft steckt in der Klemme. Das bestätigt nach den enttäuschenden vorläufigen BIP-Zahlen für das zweite Quartal 2023 auch der aktuelle EMI. Unverändert hohe Energiepreise, der anhaltende Mangel an Fachkräften und sich verschärfende geopolitische Spannungen sind nur einige der Hindernisse, die unsere Industrie ausbremsen“, betont BME-Hauptgeschäftsführerin Helena Melnikov. „Die Auftragsbücher der Industriebetriebe leeren sich rapide. Angesichts der aktuellen Situation scheint eine kurzfristige Wiederbelebung der Wirtschaft mehr Illusion als Realität zu sein.“
„Deutschland wird immer mehr zu einer Belastung für die Eurozone, wie die aktuelle Einkaufsmanager-Umfrage zeigt. In kaum einem anderen Land ist die Konjunktur derzeit so stark unter Druck wie hierzulande“, sagt Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank, dem BME.

Besserung nicht in Sicht
„Auf die Winterrezession folgt die Sommerstagnation. Vor allem hohe Zinsen und Investitionsschwäche drücken die Nachfrage im Inland“, teilt DIHK-Konjunkturexperte Jupp Zenzen dem BME mit. Wegen der schleppenden Weltkonjunktur seien auch keine nennenswerten Wachstumsimpulse aus dem Ausland zu erwarten. Das Auftragspolster der Industrie schmelze weiter ab. Zenzen weiter: „Besserung ist in diesem Jahr nicht wirklich zu erwarten.“

Einkaufspreise im Abwärtstrend
Zur jüngsten Entwicklung des EMI-Teilindex-Einkaufspreise gibt Dennis Rheinsberg, Direktor - Energy & Industrials der IKB Deutsche Industriebank AG, dem BME folgende Einschätzung: „Die Einkaufspreise haben vor dem Hintergrund der konjunkturellen Entwicklung ihren Abwärtstrend der vergangenen Monate im Juli erwartungsgemäß fortgesetzt. Gegenläufig entwickelten sich nur wenige börsennotierte Rohstoffe wie Kupfer und insbesondere Rohöl. Die insgesamt niedrigen Lager- und Börsenbestände stützen allerdings zunehmend die Börsennotierungen vieler Rohstoffe. Der kräftige Ölpreisanstieg spiegelt zudem die Angebotsverknappung durch die Förderkürzung der OPEC bei gleichzeitig weiter steigender globaler Nachfrage.“

Die Entwicklung der EMI-Teilindizes im Überblick:
Produktion: Das Produktionsniveau im Verarbeitenden Gewerbe ist im Juli den dritten Monat in Folge zurückgegangen. Mehr noch, die Rate beschleunigte sich auf den höchsten Wert seit Mai 2020. Alle drei Hauptbereiche der Industrie (Konsumgüter, Vorleistungsgüter und Investitionsgüter) verbuchten ein Minus, was nahezu in allen Fällen dem rückläufigen Auftragseingang zugeschrieben wurde.

Auftragseingang: Deutschlands Hersteller verzeichneten erneut einen noch stärkeren Rückgang der Neuaufträge. Der saisonbereinigte Teilindex verschlechterte sich den dritten Monat hintereinander und sackte auf den niedrigsten Stand seit über drei Jahren ab. Lässt man die pandemiebedingten Lockdowns Anfang 2020 außen vor, war es die kräftigste Schrumpfungsrate seit März 2009. Unsicherheit und Lagerabbau bei den Kunden, steigende Zinsen sowie die allgemein schleppende Konjunktur waren nur einige der Faktoren, die den Auftragseingang ausbremsten, wie zahlreiche Befragte angaben.

Auftragseingang Export: Beim Auslandsgeschäft setzte sich der negative Trend zu Beginn des dritten Quartals nicht nur fort, er verschärfte sich sogar noch. Demnach fiel die Schrumpfungsrate so niedrig aus wie seit Mai 2020 nicht mehr, da die Nachfrage auf wichtigen Absatzmärkten in Asien, Europa und Nordamerika weiter zurückging, was vor allem Firmen im Investitionsgüterbereich zu spüren bekamen.

Jahresausblick: Die Einschätzungen hinsichtlich der Geschäftstätigkeit binnen Jahresfrist haben sich den dritten Monat in Folge verschlechtert. So rutschte der Teilindex Jahresausblick weiter unter die Referenzlinie von 50 auf den nun tiefsten Stand seit November 2022, was den zunehmenden Pessimismus unter den Herstellern widerspiegelt. Demnach beklagten viele vor allem den anhaltenden Rückgang der Neuaufträge. Zudem erwarten nicht wenige, dass das hohe Zinsniveau sowie die wirtschaftlichen und geopolitischen Unsicherheiten zukünftige Investitionen bremsen werden.

Beschäftigung: Zum ersten Mal seit zweieinhalb Jahren ist die Beschäftigung in der Industrie leicht geschrumpft, wobei sich der Job-Abbau vorerst auf den Vorleistungsgüterbereich beschränkte. EMI-Umfrageteilnehmer, die ein Minus meldeten, begründeten dies oftmals mit der schwachen Nachfrage, Kürzungen in der Produktion oder der Entlassung von Leiharbeitern.

Einkaufspreise: Die durchschnittlichen Einkaufspreise verbilligten sich im Juli so kräftig wie selten zuvor. Abgesehen von den starken Rückgängen während der globalen Finanzkrise (Januar – April 2009) übertraf die aktuelle Rate alles in der bis April 1996 zurückreichenden EMI-Datenreihe. Vor allem der rückläufige Trend bei vielen Rohstoffen aufgrund sinkender Nachfrage sowie die günstigeren Energiekosten waren laut EMI-Umfrageteilnehmern für das erneute Minus verantwortlich.

Verkaufspreise: Nach zuvor mehr als zweieinhalb Jahren kontinuierlichen Anstiegs gingen die Verkaufspreise im Juli zum zweiten Mal in Folge zurück. Es war die deutlichste Reduzierung seit September 2009, was von vielen Einkaufsmanagern mit dem zunehmend harten Wettbewerb um Neuaufträge und der Weitergabe der geringeren Kosten begründet wurde. Neben dem Vorleistungsgüterbereich sanken die Erzeugerpreise diesmal auch im Konsum- und Investitionsgüterbereich.

Über den EMI
Der HCOB Einkaufsmanagerindex Deutschland (EMI) gibt einen allgemeinen Überblick über die konjunkturelle Lage in der deutschen Industrie. Er ist eine Momentaufnahme der Geschäftssituation im Verarbeitenden Gewerbe und ein gewichteter Durchschnitt der Messwerte für Neuaufträge, Produktion, Beschäftigung, Lieferzeiten und Vormateriallager. Der Index erscheint seit 1996 unter Schirmherrschaft des BME. Er wird von S&P Global, einem börsennotierten US-amerikanischen Finanzdienstleistungskonzern, erstellt und beruht auf der Befragung von rund 500 Einkaufsleitern und Geschäftsführern der Verarbeitenden Industrie in Deutschland (nach Branche, Größe, Region repräsentativ für die deutsche Wirtschaft ausgewählt). Der EMI orientiert sich am Vorbild des US-Purchasing Manager's Index (S&P Global US Manufacturing PMI).


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