SSI Schäfer gehört zu den ganz großen Playern im Bereich der Intralogistik. Im August 2018 gab das Unternehmen bekannt, dass es sich finanziell an den Systemanbieter und Hersteller von fahrerlosen Transportsystemen, DS Automotion, beteiligen wird, um so gemeinsam die FTS-Kompetenz in der Intralogistik auszubauen. Was kann man sich nun in diesem Bereich erwarten? Welche neuen Lösungen kommen bald und welche Technologien kommen dabei zum Einsatz? Verkehr hat nachgefragt.
Verkehr: Welche Trends zeichnen sich in der Intralogistik ab?
Gerald Gaberz: Wir sehen einen ungebremsten Wachstumstrend in ganz Europa, der neben West- und Nordeuropa auch in Ländern wie Polen oder Tschechien hohe Wachstumsraten und Volumina verspricht. Branchen mit hohem E-Commerce-Anteil sind die wirklichen Treiber. Für uns ist es insbesondere erfreulich, dass auch Österreich in den vergangen Jahren stark in der Automation aufgeholt hat, was für eine gute wirtschaftliche Entwicklung spricht und uns auch ein "Heimspiel" ermöglicht.
Welche Rolle spielt die Künstliche Intelligenz (KI) in Ihren Produktlösungen?
Gaberz: Wir sehen KI inzwischen als zentralen Bestandteil der Unternehmensstrategie sowie entscheidenden Faktor für das zukünftige Kerngeschäft und die sich abzeichnende neue Digitalisierungswelle an. Dabei setzt man vor allem auf eine holistische Herangehensweise: Nur durch die Kontrolle über alle Schnittstellen und Technologien verfügen selbstlernende Systeme über ausreichende Informationen zur Entscheidungsfindung. Aber auch wenn Maschinen immer mehr intellektuelle Fähigkeiten erlangen, bleibt das Alleinstellungsmerkmal des innovativen und kreativen Denkens über die bekannten Lösungsansätze hinaus weiterhin den Menschen vorbehalten. Der Mensch leitet die Systeme also an und "lehrt" sie. Über den Tellerrand hinaus zu denken, bleibt und wird im zunehmend schärferen Wettbewerb in Zukunft noch viel wichtiger. Mit "Wamas" bieten wir eine Option für den Einsatz von KI für das Lager. Es wäre jedoch falsch, KI als Ersatz für bestehende Methoden zu sehen, die in State-of-the-Art-Lagersystemen zum Einsatz kommen. Viel mehr ist KI eine Ergänzung. Der Mitarbeiter vor Ort wird von Tätigkeiten entlastet, um sich mehr mit dem System zu beschäftigen.
Welche Innovationen wollen Sie heuer auf der LogiMAT in Stuttgart in den Blickpunkt stellen?
Gaberz: Wir werden Systemlösungen für die unterschiedlichen Anforderungen der Logistikanwender zeigen. Gemeinsam mit dem Roboterspezialisten fpt zeigen wir eine standardisierte Piece Picking Applikation, die branchenübergreifend bei typischen Kommissionieraufgaben eingesetzt werden kann. Aus dem Segment der Shuttles wird die neue Tiefkühlvariante des SSI Flexi präsentiert. Fahrerlose Transportsysteme gibt es auch für Lasten bis 100 kg - das FTS "Sally" entstammt der Partnerschaft mit DS Automotion und wird ebenfalls zu sehen sein. IT wird zunehmend ein Schlüsselelement, daher werden auch die verschiedenen IT Solutions vorgestellt.
Welche Erfahrungen haben Sie aus der Partnerschaft mit DS Automotion gewonnen?
Gaberz: DS Automotion ist ein weltweit führender Anbieter von fahrerlosen Transportsystemen (FTS). Mit der Beteiligung an dem Unternehmen bauen wir unsere FTS-Kompetenz noch umfassender aus. Wir ergänzen unser Leistungsspektrum um Systemrealisierungen, die auf individuellen Kundenanforderungen basieren, sowie um Lösungen für spezielle Anwendungsbereiche, wie z. B. die Produktionslogistik. Anwender profitieren folglich von einem umfassenden Portfolio für Klein- und Großladungsträger, integriert in ganzheitliche Logistiklösungen. Diese Beteiligung war ein strategischer Schritt. Mit der Partnerschaft erhalten wir verstärkt Expertise in Navigationstechnologien. DS Automotion ist auch sehr stark in den Bereichen Produktionslogistik, Automotive, Hospital & Healthcare, Agriculture und Industry aufgestellt und automatisiert Serienfahrzeuge zur Ergänzung der Produktpalette - die Partnerschaft ermöglicht uns neue Marktzugänge. Durch die Zusammenführung der FTS-Kompetenz sind wir in diesem Zukunftsfeld nachhaltig gerüstet.
„Der Trend in Richtung Losgröße 1 ist nach wie vor ungebrochen“
Gerald Gaberz, General Manager SSI Schäfer Graz, spricht im Interview mit Verkehr über den Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Intralogistik und über die Lagerlogistik der Zukunft.
Wie sehen Sie die Entwicklung von predictive maintenance und welchen Stellenwert nimmt dieses Thema bei Ihnen ein?
Gaberz: SSI Schäfer setzt seit mehreren Jahren vielfältige Lösungen wie Condition Monitoring, Thermografie, Vibrationsanalysen, aber auch Algorithmen aus vielfach gesammelten Daten aus unseren SSI-CMMS (Computerized Maintenance Management System)-Applikationen ein, die uns ermöglichen, frühzeitig prediktive Betrachtungen zu analysieren und die daraus gewonnenen Erkenntnisse zeitgerecht in die präventive Wartungsschleife zu integrieren. Dieses Verfahren hilft uns, die Kosten und die Ausfallzeiten der Logistikanlagen auf einem niedrigen Niveau zu halten.
Wie wird die Intralogistik 2030 aussehen? Werden dann nur mehr autonome bzw. automatisierte Geräte die Lagerlogistik durchführen?
Gaberz: Eine exakte Vorhersage wäre klarerweise wünschenswert, aber hierfür gibt es noch zu viele unsichere Parameter, die von politischen Grundsatzentscheidungen bis hin zur Entwicklung von kostengünstigen Alternativtechnologien reichen. Beispielsweise wird die Problematik der letzten Liefermeile in vielen Städten diskutiert. Eine durch die öffentliche Hand forcierte Zusammenlegung der Verteiler würde eine massive Auswirkung auf die Ausgestaltung der Intralogistik von regionalen Verteilzentren haben. Im Bereich überregionaler Verteilzentren ist jedoch der Trend in Richtung "Losgröße 1" nach wie vor ungebrochen und verlangt klare Ausgestaltungen von Multi-Channel-Lösungen, die von reinem Palettenversand bis hin zur Direktbelieferung von Endkunden reichen und auch Value Added Services oder ein effektives und vor allem effizientes Retourenhandling umfassen. Definitiv wird der Automationsgrad stark gestiegen sein, jedoch werden immer noch Menschen in den Zentren auch operative Tätigkeiten durchführen, speziell dort, wo es besondere Ansprüche an Flexibilität gibt, die von Maschinen nur unzureichend abgebildet werden können. Beispielsweise werden Roboter in der Stückkommissionierung schon eine gute Quote des Artikelspektrums abdecken können, aber die 100-Prozent-Marke wird aus technologischen und vor allem wirtschaftlichen Gründen nach wie vor nicht umgesetzt sein. Transporte und Lagervorgänge werden hingegen weitestgehend automatisiert ablaufen, und speziell bei niedrigeren Leistungsanforderungen werden FTS und mobile Lagerroboter Einzug halten, während bei hohen Leistungszahlen nach wie vor fest installierte Förderanlagen und Lagerlösungen benötigt werden.
Wie wird SSI Schäfer 2030 aussehen?
Gaberz: SSI Schäfer wird, wie in den letzten Jahren, weiter stark gewachsen sein und erhöhte Produktionskapazitäten an den etablierten und zusätzlichen Standorten haben. Bereits das heutige Netzwerk von ca. 70 Niederlassungen in mehr als 35 Ländern ermöglicht uns, faktisch globale Kompetenz mit lokaler Nähe anbieten zu können. Wir werden auch weiterhin unserem Motto "Alles aus einer Hand" treu bleiben und ein entsprechend breites Sortiment an Produkten und Anwendungslösungen anbieten, was neben Robotic-Lösungen auch intelligente Softwarepackages beinhaltet.
Vielen Dank für das Gespräch!
Dieses Interview stammt aus der Ausgabe VK 6/2019.
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