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„Ohne die Bahn gibt es keinen Green Deal“

Pixabay / Filip Albert
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Foto: Verkehr / Helmut Photographie
Preiserhöhungen am laufenden Meter und kein Ende in Sicht – welche Folgen hat das für den Rohstoffsektor und die EU-Klimaziele? In der Fortsetzung des Interviews mit Christian Glauninger sprach Verkehr mit dem Geschäftsführer der Montan Spedition auch über die aktuelle Lage und Entwicklungen in der Rohstofflogistik.
Foto: Verkehr / Helmut Photographie

Preiserhöhungen am laufenden Meter und kein Ende in Sicht – welche Folgen hat das für den Rohstoffsektor und die EU-Klimaziele? In der Fortsetzung des Interviews mit Christian Glauninger sprach Verkehr mit dem Geschäftsführer der Montan Spedition auch über die aktuelle Lage und Entwicklungen in der Rohstofflogistik.

von: Inga Herrmann

Verkehr: Seit über zwei Jahren werden Wirtschaft und Industrie von Krisen gebeutelt. Wie stellt sich aktuell die Lage für den Rohstoffsektor dar?
Christian Glauninger: In Wahrheit hat sich Corona rohstoffseitig nur dahingehend ausgewirkt, dass Überseeverkehre aufgrund der Hafensperren (v.a. in China) erheblich beeinträchtigt waren. Ansonsten hat die Grundstoffindustrie (Stahl, Beton, Papier) aber sehr gut funktioniert, und auch die Volumina waren sehr groß.
Was sich allerdings deutlich auf den Markt ausgewirkt hat, war die Preissituation. Getrieben von der hohen Nachfrage entwickelten sich die Rohstoffpreise schon zu Krisen-Beginn nur noch in eine Richtung: nach oben. Aber mit dem Einsetzen der Energiekrise und zeitgleich dem Anziehen der sowieso schon hohen Energiekosten sind die Preise geradezu explodiert, und der Ukraine-Krieg (allein) war nicht der Auslöser für diese Entwicklung, er hat sie nur zusätzlich befeuert.
Bisher konnten diese Preissteigerungen vom Markt absorbiert, konnte der höhere Rohstoffpreis mit den Endprodukten weitergegeben werden. Die Kunden haben die Erhöhungen mitgetragen, wobei die Akzeptanz auch vom Endprodukt abhängig war: Je hochwertiger, umso leichter war der Preis durchzusetzen. Inzwischen stellt sich aber immer öfter die Frage: Wann kommt der Punkt, an dem die Preise nicht mehr weiterzugeben sind? Mittlerweile deuten erste Anzeichen darauf hin, dass die Decke in diesem Herbst erreicht sein wird – im Monatssprung Mai/Juni haben wir z.B. bei metallischen Erzen für die Stahlverhüttung, die wir stark befrachten, den ersten Preisabfall (DIP) gesehen. Auch der Schrottpreis ist im Juni erstmals gesunken. Wie nachhaltig das ist oder ob es sich nur um einen kurzfristigen DIP handelt, ist schwer vorherzusagen, jedoch haben die Preise einiger wichtiger Rohstoffe auch im Laufe des Sommers kontinuierlich nachgegeben.

Wie reagieren die Kunden und Lieferanten auf die Preise?
Glauninger: Die Volumina sind immer noch sehr hoch, es zeigt sich aber eine gewisse Marktpanik, denn wir sehen derzeit große Lagerbewegungen, ohne dass es einen Endkonsumenten gäbe. Es werden große Mengen von einem Händler zum anderen und in dessen Lager verschoben. Das Verhalten der Rohstoffhändler unterliegt aktuell einem starken Gambling – ein Händler z.B. rechnet mit einer Preissteigerung und will schnell einkaufen; ein anderer spekuliert auf das Sinken der Preise und will rasch verkaufen. Treffen sich diese beiden und kommt das Geschäft zustande, müssen dann in relativ kurzer Zeit relativ große Mengen bewegt werden. In Corona-Zeiten hat sich diese Entwicklung schon abgezeichnet, aber solche starken Lagerbewegungen und die dementsprechend hohe Nachfrage nach Transporten von viel Material in kurzer Zeit kannten wir bislang noch nicht.

Wie stellt sich die Nachfragesituation konkret für die Montan Spedition dar? 
Glauninger: Diese für uns unerwartet hohen Lagerbewegungen haben für die Montan Spedition einen komplett neuen Geschäftszweig eröffnet, weil wir sonst nur den Weg direkt zum Endkunden kannten und hier durchwegs viel kleinere Mengen, auf den Zeitraum gesehen, bewegt haben. Das hat unsere Organisation z.B. in puncto Zugsbuchungen in dieser Größenordnung teilweise an die Kapazitätsgrenzen gebracht, auch weil viele Ladeeinheiten in kurzer Zeit von einem Punkt aus weggehen und zu einem anderen Punkt, der nun oftmals der gleiche war, transportiert werden mussten. Dass Quelle und Ziel von vielen Ladeeinheiten identisch waren, stellte uns vor eine neue und unbekannte Situation.
Um diesen Markterfordernissen gerecht zu werden, haben wir 500 neue Container angeschafft, womit wir unsere Kapazitäten um ca. 30 Prozent erhöht haben. Wir gehen aber davon aus, dass sich die Konjunktur im Herbst eintrüben und die Rohstoff-Nachfrage abnehmen wird, da aktuell einige Parameter zusammenkommen, die sich negativ auf die europäische Wirtschaftsentwicklung auswirken werden wie die anhaltend hohe Inflation, die Gefahr, vom russischen Gas abgeschnitten zu werden, und die zurückkehrenden Zinsen im Euro-Raum. Viele Preise haben schon Niveaus erreicht, welche vom Markt nicht mehr akzeptiert werden, so dass die Kaufentscheidung entweder verschoben oder sogar storniert wird. Dieser anbahnenden Rezession müssen wir uns stellen, sind aber sehr gut dafür gerüstet, da wir in den letzten Jahren sehr erfolgreich gearbeitet haben.

Können Sie bitte die Auswirkungen der hohen Energiepreise sowohl auf den Rohstoffsektor als auch auf Ihr Unternehmen skizzieren?
Glauninger: Die gestiegenen Energiepreise treffen uns als Anbieter multimodaler Transporte natürlich auf beiden Seiten, auf der Straße und der Schiene. Auf der Straße wurde es bereits im Februar schlagend; wir haben hier erstmal die Entwicklung abgewartet. Im April war es dann nicht mehr möglich, die Mehrkosten im Straßenvor- und -nachlauf zu schlucken, so dass wir die erhöhten Kosten am Markt relativ breitflächig weitergegeben haben, aber nur im Verhältnis 1:1. Auf den multimodalen Gesamtlauf bezogen, machte dies eine Preissteigerung von 3 bis 5 Prozent aus; Straßenfrächter erhöhten die Preise im Vergleich dazu um 14 bis 19 Prozent. Über allem hing aber das Damoklesschwert der Strompreiserhöhungen am Bahnsektor. Und die wurden ab Mai virulent, so dass die ersten Bahnoperateure massive Zuschläge auf den Schienenlauf erhoben haben. Die Montan Spedition hat sich auch damals noch zurückgehalten, aber als unser größter Schienenverkehrspartner im Juli auf allen internationalen Routen Energiezuschläge eingehoben hat, mussten wir auch diese Erhöhungen an unsere Kunden weitergeben. Somit haben wir bei vielen Transporten den oben erwähnten (Preis-)Vorteil gegenüber reinen Straßenverkehren wieder verloren.
Die enorm gestiegenen Strompreise treffen nicht nur uns als multimodalen Anbieter, sondern die Bahnbranche generell sehr hart. Die Bahnoperateure haben, wie erwähnt, schon reagiert und Preissteigerungen teilweise bereits vor Monaten kommuniziert. Bislang hatte die Bahn immer das große Asset, Kunden für die Verlagerung auf die Schiene gewinnen zu können, weil sie mit der Unabhängigkeit von Dieselpreis und Lkw-Maut argumentieren konnte. Selbst die vergleichsweise Mini-Anpassung im April war den Kunden gegenüber noch gut vertretbar. Aber jetzt, mit Strompreiserhöhungen in Österreich von 150, in Serbien 300, in Bulgarien 350 oder Ungarn von 400 Prozent, sehen wir uns mit Kostensteigerungen konfrontiert, die unser ganzes Engagement – auch im Sinne des Green Deals – ad absurdum führen und die Umverlagerung auf die Schiene nachhaltig stören. Denn mit Preisaufschlägen von ca. 30/40 Prozent auf den Gesamtlauf bedeutet das, selbst runtergebrochen auf die einzelnen Einheiten, immer noch eine solch enorme Kostenexplosion, dass sich viele Kunden dann wieder von der Bahn ab- bzw. gar nicht erst hinwenden. Früher lag der große Vorteil der Bahn klar auf der Hand: Je länger man fährt, umso günstiger wird es pro Kilometer. Jetzt ist es aber so: Desto länger man fährt, umso teurer wird es.

Wäre es hier nicht Aufgabe der Politik gewesen, einzugreifen und den Schienentransport zu unterstützen?
Glauninger: Wir warten seit Monaten darauf, dass die Europäische Kommission ein Machtwort spricht und die Strompreiskalkulationen in Europa endlich vom Gas entkoppelt. Das würde nicht nur uns Transporteure entlasten, sondern auch jeden einzelnen europäischen Haushalt. Aber diese Chance hat man verstreichen lassen und stattdessen nichts getan, obwohl diese Entwicklung lange abzusehen war. Wenn man wenigstens zur Erreichung der Klimaziele den Gaspreis aus dem Bahnstrompreis herausgenommen oder den Bahnstrom zumindest für kurze Zeit verstaatlicht hätte … Die Zeit dafür und die Möglichkeit hätte es gegeben. Aber es ist nichts passiert, und das enttäuscht mich wirklich sehr, weil der Rohstoffsektor natürlich zu 100 Prozent von dieser Entwicklung betroffen ist. Denn wer ist bahnaffiner als die Rohstofflogistik?! Viele Mengen, immer sehr stabile Routen, relativ gut planbar und durchwegs keine Termingüter – der Rohstofftransport ist geradezu prädestiniert für den Bahnverkehr wie kein anderer.
Diese Tatenlosigkeit ist wirklich unverantwortlich, denn ohne die Bahn wird man 100-prozentig keinen Green Deal am Transportsektor schaffen.

Die Fortsetzung dieses Interviews finden Sie hier:
https://www.verkehr.co.at/singleview/article/nachhaltigkeit-wird-sozusagen-vorgeschrieben

 


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